Damit wir in Ruhe weitere Teile der Stadt erkunden können, haben wir unseren Aufenthalt noch um einen Tag verlängert. Zuerst laufen wir heute in das Quartier Kalamaja, das im Norden zwischen Altstadt und Hafen liegt.
Es ist ein altes Holzhausviertel mit ehemals einfachen Wohnungen. Einzimmerwohnungen mit Gemeinschaftsküche, gebaut zu Zeiten des Wohnraummangels. Inzwischen ist das Viertel mit teils renovierten Holzhäusern, gemischt mit interessanten Neubauten sehr beliebt.
Es ist nett am recht frühen Samstag morgen hier durch zu schlendern. Alles ist ruhig, Väter ziehen mit ihren Kindern zum nächstgelegenen Spielplatz. Die Hauptstraße ist eine Fahrradstraße. Viele Ecken sind mit Hochbeeten begrünt. Wasserversickerungsflächen sind angelegt.
Wir dringen in die Altstadt ein auf dem Weg zum Designmuseum. Es wieder ziemlich voll. Ich sage mal, Tallinn hat auch schon ein leichtes Overtourism-Problem.
Im Designmuseum ist es ruhiger. Wieder begeistert uns die Designideen, so ähnlich wie in Riga. Hier werden auch viele Beispiele für Digitalisierungsdesign gezeigt.
Estland ist ja das digitale Vorzeigeland. Wie unser Stadtführer gestern erklärte, ist die Verwaltung schon seit 2007 digitalisiert. Der Prozeß wurde übrigens von der staatlichen Seite her initiiert und nicht von der Wirtschaft.
Die Steuererklärung machen mindestens 95% der Esten online innerhalb von wenigen Minuten.
So etwas wie die elektronische Gesundheitsakte gibt es hier auch schon seit 2007. Man identifiziert sich dazu einfach mit seinem Personalausweis. Allerdings muß man dazu sagen, ein Land mit nur 1,3 Mio. Einwohnern tut sich mit so einer Umstellung sicherlich auch etwas leichter.
Wir verlassen die Altstadt zur anderen Seite und gehen ins Rotermannviertel. Das ist nun das genaue Gegenteil von Telliskivi, dem Kreativquartier.
Zwar auch ein ehemaliges Industrieareal, wurde das Viertel aber topdown von Investoren entwickelt. Mit spannenden Bauten, hier sind die alten Fabrikgebäude, die unter Denkmalschutz stehen mit kreativen Aufbauten versehen.
Aber insgesamt ist es sehr Schicki und die Stimmung gefällt uns nicht so gut.
Wir besuchen lieber dann das Architekturmuseum in der Nähe. Modelle und Zeichnungen diverser Architekturprojekte sind hier zu sehen. Einiges auch zu Bauten aus der sowjetischen Zeit. Protzbauten, mit denen Wirtschaftskraft vorgegaukelt werden sollte. Dazu hatte unser Stadtführer gestern auch deutliche Worte gefunden.
Wir laufen quer durch die Altstadt wieder nach Telliskivi. Hier sind die Hallen zum Teil noch unrestauriert, oft nur umgenutzt und neue Gebäude daneben gesetzt. Es hat mehr den Charme eines bottomup-Prozesses. Es lebt mehr, vor allem an einem frühen Samstag abend strömen die Massen hier hin.
Wir essen etwas. In dem großen Lokal, das eine alte Halle komplett nutzt, ist ein Kommen und Gehen.
Anschließend werfen wir uns völlig geplättet wieder in den Zug „nach Hause“.
18. Tag
Gesamt: 1.555,8 km